Amelie hatte mich über meine Webseite gefunden. Der Zeitraum, über den sie im folgenden Interview berichtet, erstreckte sich über etwas mehr als ein halbes Jahr.
Amelie, danke, dass du dich bereit erklärt hast, über deine Geschichte und über deine Erfahrung mit tantrischer Körperarbeit in Verbindung mit Trauma zu sprechen. Was hat dich denn bewogen, einen Tantramasseur aufzusuchen?
Ich war damals Anfang 30 und hatte nach meinem Trauma zwei Jahre schon Psychotherapie gemacht. Ich habe dann auch zusätzlich bei einer Psychiaterin eine Traumatherapie angefangen. Das hat mir persönlich aber gar nichts gebracht, mir ist es nach den Sitzungen immer nur schlecht gegangen. Ich war damals gerade Single und es hat mir gefehlt, berührt zu werden. Ich habe damals schon verschiedene Sachen probiert, z.B. Craniosacraltherapie, aber es war alles blockiert von meinem Trauma.
Du sprichst von Trauma. Kannst du kurz erzählen, was dir widerfahren ist?
Ich bin kurz vor meiner Pubertät von einem Mann über mehrere Monate schwer sexuell missbraucht worden. Und leider kam es auch in meiner späteren Entwicklung dreimal zu Vergewaltigung oder sexueller Nötigung.
Das ist wirklich furchtbar. Also wie bist du dann zu Ernst gekommen?
Ich habe nach Massage und Trauma gegoogelt und bin auf seine Webseite gestoßen. Der erste Gedanke war: Oh Gott, Tantra, auf welche verruchte Seite bin ich denn da gekommen? Da war aber auch eine Fallstudie einer gewissen Barbara und die hat mich berührt. Gleichzeitig war ich dadurch beruhigt, somit hatte Ernst schon Erfahrungen mit Traumata. Ich habe dann gleich angerufen.
Wie war dann der erste Eindruck am Telefon?
Ernst hat sehr kompetent geklungen. Was auch wichtig war für mich: Er ist nicht erschrocken, als ich von meinem Trauma berichtet habe. Er hat gesagt, die Klientin bestimmt die Regeln bei einer Berührungs-Session, es gibt kein Muss, es gibt kein konkretes Ziel, das erreicht werden muss. Ich muss mich auch nicht ausziehen, aber ich kann meine Kleidung ablegen soweit ich es möchte.
Ich habe dann gleich einen Termin ausgemacht und war unheimlich erleichtert.
Wie ist das dann verlaufen?
Es war mir sehr wichtig, dass ich die Kontrolle habe und dass ich die Regeln bestimme und so war es auch. Meine Regeln und Ideen waren am Mittelpunkt, ich habe zB gebeten, die Wohnungstüre von Innen zuzusperren und das war gar kein Problem. Bei den ersten paar Berührungs-Sessions habe ich den Slip angelassen und der Masseur auch. Die Berührungen haben dann gezeigt, ich bin hier sicher, ich kann mich auf den Rahmen verlassen. Es gab Wärme, Zuspruch und Berührungen nach meinen Regeln.
Nach deinen Regeln? Wie kann man das verstehen?
Wir haben einfach gemeinsam die Möglichkeiten und die NoGoes abgesteckt. Ich habe zum Beispiel gesagt, mein Hals darf wegen meiner traumatischen Erfahrungen nicht berührt werden. Das war völlig okay und wurde auch immer eingehalten, aber auch nicht totgeschwiegen. All meine Bedenken wurden zerstreut. Das ist auch ein gutes Beispiel, weil Ernst der erste war, der so ein Thema nicht panisch vermieden hat oder nicht wusste, wie er damit umgehen soll.
Welche Bedenken hattest du denn?
Bin ich attraktiv genug, um mich bei der Massage zu zeigen? Bin ich nicht zu dick? Was wird sein, wenn er meine Narben sieht? Kann ich mich überhaupt vor einem Fremden ausziehen? Ist das ein Toyboy und bin ich damit eine Schlampe? Sind solche Berührungen nicht verrucht oder sogar gefährlich? Wie wird mein Gefühl danach sein?
Was waren dann deine Erfahrungen, die diese Bedenken zerstreut haben?
Ich konnte schon nach dem ersten Termin loslassen. Ein wohlig warmes und tolles Gefühl war schon bei unserer ersten Session da. Geborgenheit, Wärme, akzeptiert sein, so wie ich bin. Es darf alles da sein, ich muss nicht entsprechen, ich muss nichts machen oder können oder tun. Das war sehr angenehm und hat mich sehr erleichtert und mir die Entscheidung leicht gemacht, dann regelmäßig zur Massage zu gehen. Naja, leicht gemacht, ich würde eher sagen, es war plötzlich ganz klar, dass ich das unbedingt für mich machen möchte und, dass das genau das ist, worauf ich so lange gewartet habe.
Wie ist es dann weitergegangen?
Ich habe große Schritte gemacht: Anfangs bin ich bei manchen Berührungen noch erschrocken. Ernst hat das immer cool genommen und ich hatte den Eindruck, der kennt sich aus, dem ist das nicht neu, der ist keiner, der jetzt die Krise bekommt. Mit der Zeit habe ich dann großes Vertrauen entwickelt, auch weil ich gespürt habe, dass es immer um mich geht und nur um mich und nie um den Masseur und seine Bedürfnisse. Die Berührungen waren immer voller Achtsamkeit und mit vollem Respekt, so hat sich das angefühlt. Nach 2 oder 3 Sitzungen bin ich dann schon gerne zur Massage gegangen, es war so viel Freude da, dass ich so etwas erleben darf und dass sich jetzt endlich alles löst. Die Massagen wurden routinierter für mich und ich konnte sie genießen. Einfach diese Zeit jede Woche, in der es einfach nur um mich gegangen ist. Ernst war mir immer positiv zugetan, war nie schlecht drauf, war liebevoll und hat mir das Gefühl gegeben, er macht das gerne für mich. Er hat ehrliche Freude über meine Fortschritte und Zugewinne gezeigt und das hat mich auch sehr aufgebaut.
Kannst du Beispiele für die Fortschritte nennen, die du gemacht hast?
Sehr deutliche Verbesserungen habe ich nach 5 bis 10 Stunden wahrgenommen. Anfangs hatte ich unwillkürliche Muskelspannungen in den Oberschenkeln und musste die Knie aneinanderpressen, sobald ich mich in Gegenwart eines anderen Menschen ausgezogen habe. Das ist plötzlich verschwunden- ein Wunder! Ich musste meinen Busen nicht mehr hinter weiten Pullovern verstecken. Ich gewann Selbstvertrauen in mich und meinen Körper. Tropfen für Tropfen ist alles von mir abgefallen.
Wir haben auch konkrete Probleme behandelt – zum Beispiel die Berührungen am Hals, die früher sehr an mein Trauma gekoppelt waren und mich massiv getriggert haben, oder ein Frauenarztbesuch. Das haben wir konkret vorbereitet, anschließend war das für mich machbar. Ich war ja jahrelang trotz Problemen nicht bei der Gynäkologin.
Einer der wichtigsten Schritte für mich war, dass ich mit meiner Sexualität ins Reine gekommen bin. Ich konnte lernen, dass kuschelige Nähe und lustvolle Erotik gleichzeitig da sein können und dürfen.
Achja, und ich konnte alles fragen, was ich wissen wollte. Ich hatte ja keine Ahnung, was normale Sexualität ist. Ich wusste zum Beispiel nicht, ob normale Paare Oralsex oder Analsex praktizieren oder, ob das lediglich perverse Parktiken sind. Ich wusste nicht, wie man Sextoys verwendet und ob das nicht auch Perversität ist. Für mich war ja schnell mal etwas pervers oder ekelig. Bei Ernst bekam ich immer fundierte und fachlich kompetente Antworten, die mir die Einordnung meiner eigenen Sexualität ermöglichten. Und er hat mir auch eine Idee geben können, was „normale Paare“ miteinander machen und was eine „Erfindung der Pornoindustrie“ ist. Ich habe also plötzlich gemerkt, dass ich mich vor den meisten Männern nicht fürchten brauche- eine wahnsinnige Erleichterung im Alltag!
Wie hat sich deine Sexualität sonst noch verändert?
Ich hatte ja nach meinen traumatischen Erlebnissen schon sexuelle Erfahrungen gemacht. Ich war verheiratet und da war auch guter Sex aufgrund des großen Vertrauens zu meinem Partner möglich. Aber es war für mich nicht möglich, in der partnerschaftlichen Sexualität einen Höhepunkt zu erleben. Das ging nur, wenn ich mich selbst klitoral stimuliert habe. Durch die Massagen haben sich meine sexuellen Erfahrungsräume erweitert – jetzt ist es mir möglich, in einer sexuellen Begegnung mit einem Partner durch vaginale Stimulation zum Höhepunkt zu kommen. Ich kann meine Sexualität freier leben – ich kann mich auf sexuelle Begegnungen einlassen, ohne, dass mein Trauma eine Rolle dabei spielt. Das war vorher nicht möglich. Ich habe jetzt bei sexuellen Begegnungen endlich keine Flashbacks mehr oder ein schlechtes Gewissen im Nachhinein. Meine Sexualität hat sich durch die Massagen vom Trauma getrennt, meine eigenen erotischen Gefühle haben keine Koppelung mehr zum Trauma.
Wie hat sich dein Umgang mit deinem Trauma verändert?
Ich habe gelernt, dass Sexualität eine normale Kategorie des Lebens ist, wie schlafen oder essen. Damit ist das Thema Sexualität auch irgendwie unwichtiger in meinem Leben geworden, weniger mysteriös oder wie eine große Hürde. Die Schuldgefühle sind weg. Ich habe gelernt, dass Grenzen vom Gegenüber ohne weiteres akzeptiert werden und ich kann meine Grenzen artikulieren, ohne das Gefühl zu haben, ich oute mich als Traumatisierte. Ich lasse viele Sachen nicht mehr mit mir machen. Das war früher anders und angstbehaftet. Ich stimme nur noch sexuellen Kontakten zu, wenn ich das selbst wirklich will. Ich gestehe mir aber auch zu, es manchmal wirklich selbst zu wollen! Ein Mädel mit Lust, das waren immer nur die anderen. Jetzt gehör ich da auch dazu!
Würdest du anderen Frauen diesen Weg der traumaorientierten Körperarbeit empfehlen?
Unbedingt, darum habe ich ja auch diesem Interview zugestimmt. Ich hoffe wirklich, dass möglichst viele Traumamädels von meinen positiven Erfahrungen lesen! Und Ernst, ich bin unendlich dankbar, dass Du mir so ein Leben ermöglicht hast!!!